Kindesschutz in Familien mit Suchtproblematik
Standpunkt
Kinder aus suchtbelasteten Familien sind in ihrer Entwicklung benachteiligt und benötigen später vielfach selber Hilfe
Von Marcel Borer
Die Interessengemeinschaft für Qualität im Kindesschutz (IGQK) lud am 21. November 2018 unter der Leitung von Patrick Fassbind zu einer Qualitätswerkstatt an der HFS in Muttenz ein. Axel Jochum, Psychiater am Zentrum für Suchtmedizin Basel, legte eingangs dar, weshalb Kinder aus suchtbelasteten Familien – je nach ihrer persönlichen Konstitution mehr oder weniger – in ihrer Entwicklung benachteiligt sind und später vielfach selbst Hilfe in Anspruch nehmen müssen.
Anschliessend stellte Tina Lendi, Psychologin und Leiterin Team Kindesschutz KESB Basel-Stadt, den Fall eines alkoholabhängiges Elternpaars mit einem Kleinkind vor. Berichtet wurde, dass ein Elternpaar jeweils vor ihren Alkoholexzessen ihr Kind in eine Pflegefamilie bringt und dass es vor dessen Rückkehr zu den Eltern ein Gespräch mit ihnen gäbe. Die Eltern – so Lars Golly, Sozialarbeiter und Leiter Fachteam Case Management der Abteilung Sucht des Kantons Basel-Stadt – zeigten sich in solchen Momenten sehr kooperativ. In der nachfolgenden Diskussionsrunde blieb allerdings die konkrete Situation des Kindes völlig im Dunkeln. Offen blieb die Frage von Axel Jochum, ob es denn nicht zentrale Aufgabe der Beistandsperson ist, die Interessen des (Klein-)Kindes zu vertreten. Und er ergänzte, dass aus langjähriger Erfahrung Beistandspersonen kaum Zeit für den persönlichen Kontakt mit dem Kind haben und allgemein administrativ überlastet wirken.
Dachverband fordert mehr Zeit für Kinder und ihre Beistandspersonen
Ignaz Heim, Präsident der Schweizerischen Vereinigung der Berufsbeiständinnen und Berufsbeistände (SVBB), unterstrich anlässlich der Qualitätswerkstatt, dass es den Berufsbeistandspersonen bei zu hohen Fallzahlen nicht möglich ist, mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen einen vertrauensvollen Kontakt aufzubauen. Diesbezüglich, so Heim weiter, seien auch die Arbeitgeber in die Pflicht zu nehmen. Lars Golly vertrat die Meinung, es sei ausreichend, wenn die Beistandspersonen im Hintergrund koordinierende Aufgaben übernehmen und den eigentlichen Fachspezialisten die Arbeit überlasse. Marcel Borer, Sekretär des Regionalverbandes der Berufsbeistandspersonen, widersprach dem entschieden:
«Die Berufsbeistandspersonen müssen entsprechend dem Willen des Gesetzgebers aktiv auf die verbeiständeten Menschen zugehen und eine persönliche Beziehung aufbauen. Dies ist in aller Regel ein sehr zeitaufwendiger Prozess, der nicht immer im ersten Anlauf gelingt.»
Leider äusserten sich Tina Lendi und Lars Golly nicht dazu, wie im vorliegenden Fall die individuelle Kindswohlgefährdung methodisch abgeklärt wurde. Unbeantwortet blieb auf Nachfrage aus der Teilnehmerrunde auch, was im vorgelegten Fall die konkrete Erwartung an die Beistandsperson und deren Sichtweise ist.
Es ist festzustellen, dass an diesem Anlass über Qualität im Kindesschutz gesprochen wurde, ohne dass die Sichtweise des direkt betroffenen Kindes oder dessen Beistandsperson in den Dialog mit eingeflossen ist. Dies stellt einen gravierenden Mangel dar. Anstelle konkret mit ihnen (aus ihrer Sicht) wurde pauschalisiert über sie (aus der Sicht anderer) gesprochen. Bis zum aktiven Einbezug der von einer Beistandschaft betroffenen Kinder als zentrale Grundlage für die Qualität im Kindes- und Erwachsenenschutz scheint es noch ein langer Weg. Gut deshalb, wenn die IGQK deshalb bald zu weiteren Qualitäts-Werkstätten zum Thema Kindesschutz einlädt.